Samstag, 2. Mai 2009

Lattenbrüche, Hunde und andere Dinge

Editierte Version des Beitrages von Steffen Heintsch

Vorwort: Viele Inhalte können nur angekratzt werden. Man strebt hier ja keine Doktorarbeit an.

[....] Keine Gleichberechtigung gibt es im Unrecht (siehe Gleichbehandlung im Unrecht). Wenn man ernsthaft in Betracht ziehen will, welche Zivil- und Strafrechtliche Normen gelten, so wird man nachfolgende erwähnen können:
1. § 228, 229 BGB
2. 904 BGB zum Beispiel (Hund/Lattenausreißer)
3. § 32 StGB und § 34 StGB.

Zauberwort „Legitimation“
Ein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Verhaltensnormen (zB Artikel 2 GG (1) „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“) wird immer mit einem vorbehaltlichem, grundsätzlichen missbilligenden Urteil "personale Fehlleistung" versehen. Ob danach eine zweck- oder wertrationale Legitimation zur strafrechtlichen/zivilrechtlichen Reaktion vorliegt entscheiden die tatbestandlichen Merkmale. Die Legitimationsfrage steht hier aber immer im Vordergrund.
Jemand tötet mit einem Auto ein Kind“ wird immer und mehrfachst aus dem Verfassungsrang heraus verurteilt. Das tatbestandliche Merkmal "totes Kind-Autounfall", legitimiert zur strafrechtlichen Reaktion, also hier die staatsanwaltschaftliche Ermittlung den Unfallhergang genauestens zu ermitteln, deren Ergebnisse aber auch alle anderen zivilrechtlichen möglichen Reaktionen beeinflussen. Ob danach die Rechtsfolge ausgelöst werden wird, entscheiden die erwähnten "Tatbestandsvorraussetzungen". Sie werden anhand der entsprechenden Gesetzesnormen bewertet und können dazu führen das der Tötungsdelikt nicht strafrechtlich bestraft wird (, so wenn zu Bsp. ein Rentner das Kind vor das Auto geschubst hat und der Fahrer nicht verkehrswidrig unterwegs war), sehr wohl jedoch die kausale Handlung des Rentners, ohne die der Taterfolg nicht möglich gewesen wäre. Neben anderen Vorraussetzungen ist die hier strafrechtlich hergestellte Kausalität auch Grundlage der Beantwortung der zivilrechtlichen Fragen.

Legitimation über Rechtfertigungsgründe
Populäre Beispielfrage: "Darf der Staat die Onlinedurchsuchung mit/ohne Richtervorbehalt zur Gefahrenabwehr durchführen und wenn ja welche strafrechtlichen "Tatbestandsvorraussetzungen" muss der Verdächtige erfüllen damit er überhaupt legitimier Weise online durchsucht werden kann?"
Nun kennt das deutsche Strafrecht und Zivilrecht im Bereich der "Gefahrenabwehr" tatsächlich eine Vielzahl sog. Rechtfertigungsgründe auch für natürliche oder juristische Personen, die eine Strafbarkeit nach Tatbestandsvorraussetzung ausschließen und somit die Tatbeteiligung innerhalb der Rechtsfolge sanktionieren. Es existiert eben nicht eine Legitimation vor einer Maßnahme der „Gefahrenabwehr“, es sei denn ein Gesetz bestimmt dieses. [siehe zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe]
Die Hürden um nicht bestraft zu werden sind jedoch enorm. 1. Objektivität der Bestimmtheit des Rechtfertigungsgrunds. + 2. Subjektiver Rechtfertigungsgrund des Verteidigungs- oder Rettungswillen im Rahmen der Gefahrenabwehr. Berühmtestes Beispiel: Ein Grundstücksbesitzer hält sich einen scharfen Hund, der das Grundstück vor Einbrechern schützen soll = Subjektiver Rechtfertigungsgrund im Rahmen der Gefahrenabwehr erfüllt. Es kommt zu einem Einbruch, der Hund greift den Einbrecher an und verletzt ihn = Objektivität der Bestimmtheit im Rahmen der Gefahrenabwehr nicht erfüllt. Der Hunde- und Grundstücksbesitzer kann strafrechtlich und zivilrechtlich für die Verletzung des Einbrechers belangt werden. Subjektive Rechtfertigungsgründe sind immer einfach zu erfüllen. Objektive Bestimmtheit der Rechtfertigungsgründe extrem schwer.

Was ist aber jetzt da der Unterschied genau?
Die Objektive Bestimmtheit des Rechtfertigungsgrundes bezieht auch mit ein, ob durch das Verhalten "verhältnismäßig" operiert wurde. "Eine wegen einer Autopanne um Hilfe suchende Frau betritt ein Grundstück, das von einem scharfen Hund bewacht wird, um Einbrecher abzuschrecken. Sie wird gebissen." Der subjektive Rechtfertigungsgrund tritt hinter die Objektive Bestimmtheit des Rechtfertigungsgrundes zurück. Dieser ist definitiv nicht geeignet weitaus höher anzusiedelnde Verfassungsränge auszuhebeln. Ich darf eben keine Gefahr im Rahmen der Gefahrenabwehr schaffen. Da helfen keine Verbotsschilder, "Vorsicht bissiger Hund", etc. ...
Übersetzt aufs P2P: Was darf ein DigiProtect-P2P-Wachund? Bellen darf er. Aber er darf nicht von der Kette. Er darf überwachen, aber keine eigenen Titel in Tauschbörsen stellen und danach abmahnen oder Titel herunterladen, wozu er keinen Auftrag von Herrchen besitzt.

Zivilrechtliche Rechtfertigungsgründe

Für die Bewertung, ob eine agressive Notstandsmaßnahme nach § 904 BGB im Bereich „Samplerabmahnungen“ statthaft ist, reicht ein Blick ins UrhG. Auch hier nur ein Beispiel von Vielen:

§ 95c UrhG, Abs. 3
(3) Werke oder sonstige Schutzgegenstände, bei denen Informationen für die Rechtewahrnehmung unbefugt entfernt oder geändert wurden, dürfen nicht wissentlich unbefugt verbreitet, zur Verbreitung eingeführt, gesendet, öffentlich wiedergegeben oder öffentlich zugänglich gemacht werden, wenn dem Handelnden bekannt ist oder den Umständen nach bekannt sein muss, dass er dadurch die Verletzung von Urheberrechten oder verwandter Schutzrechte veranlasst, ermöglicht, erleichtert oder verschleiert.
[DRM-Informationen, Abspielschutzmaßnahmen, Digitale Wasserzeichen, etc.]

§ 108b UrhG, Abs. 1, Punkt 2
b) ein Werk oder einen sonstigen Schutzgegenstand, bei dem eine Information für die Rechtewahrnehmung unbefugt entfernt oder geändert wurde, verbreitet, zur Verbreitung einführt, sendet, öffentlich wiedergibt oder öffentlich zugänglich macht
und dadurch wenigstens leichtfertig die Verletzung von Urheberrechten oder verwandten Schutzrechten veranlasst, ermöglicht, erleichtert oder verschleiert,


§ 904 BGB
Der Eigentümer einer Sache ist nicht berechtigt, die Einwirkung eines anderen auf die Sache zu verbieten, wenn die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber dem aus der Einwirkung dem Eigentümer entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß ist.

Hier gilt es natürlich abzustufen. So kann die Kanzlei Rasch durchaus berechtigt einen Katalog von betroffenen Recht- und Nutzungsrechteinhabern vorlegen, der einen unverhältnissmäßig großen Schaden ausschließt, wobei man dennoch nicht aus der Schadensersatzverplichtung an die weiteren Rechte- und Nutzungsrechteinhaber entlassen wird. Unstrittig ist jedoch, dass die Vorgänge seitens der Abmahnkanzleien und ihrer beauftragten Firmen in p2p-Tauschbörsen keine gegenwärtige Gefahr abwenden. Selbst die Beschlüsse „Auskunft“, gerade aus Köln stellen erst recht keine nachträgliche Legitimierung dar. OLG Köln: „Vorschaltverfahren zu einem Auskunftsanspruch, durch das wiederum Unterlassungs- oder Schadensersatzansprüchen gegen den zu ermittelnden Urheberrechtsverletzer vorbereitet werden.“ [Vorbereitendes Vorschaltverfahren, soso...]
Das Anliegen des Gesetzes, das dem Bedürfnis nach einer effektiven Verfolgung der massenhaft begangenen, auch strafrechtlich relevanten Rechtsverletzungen Rechnung trägt, die durch die hierzu zuvörderst berufenen Strafverfolgungsbehörden nicht mehr geleistet werden kann, rechtfertigt es, nicht von vornherein auszuschließen, dass in Ausnahmefällen ein Anschlussinhaber in Anspruch genommen wird, der nicht Störer im Sinne des Urheberrechts ist."

Die Beteiligten, Richter, Abmahnkanzleien, Telekom AG bekümmern sich nicht um die eigentlich wesentlichen Fragen des Samplerabmahngeschäfts. Und wo kein Kläger, da wird auch wie bei den nicht mehr „leistungsfähigen“ Staatsanwaltschaften, kein Richter sein. Es mag für heute dahin gestellt bleiben, was geschieht, wenn auch die Richter in Köln nicht mehr "leistungsfähig" sind.

Extrembeispiel „Big CityBeats No 8“
Eine bekannte Rechteverwertungsgesellschaft läßt sich aus einem Kopplungstonträger einer Nutzungsrechteinhaberin ausschließliche Verwertungsrechte verschiedener Titel sichern. Darunter befindet sich ein nach § 3 UrhG selbstständig schutzwürdiger „Remix“ eines bekannten Djs. Zwar besitzt die Rechteverwertungsgesellschaft nur die Rechte am Remix, sie verfolgt aber die Rechteverletzungen an einem „namengleichen“ selbstständig schutzwürdigen Titel, in allen Arten von anderen Kopplungstonträgern. Die Kölner Richterschaft, die hochprofessionellen Telekom-Anwälte können keine Zweifel am Vorgehen entwickeln. Es wird abgemahnt, was das Zeug hergibt, andere Rechteinhaber, hunderte andere Künstler werden finanziell nicht bedacht, das Urhg in §95c und §108.1.2b mißachtet Jegliche Rechtfertigungsgründe implodieren, es ist allen schlicht egal. Das Geld wird kanalisiert, und für das 1/3 nicht mehr angesagte Schauspieler, Regisseure, Musiker, die über jede müde Mark froh wären ist Hartz-IV zuständig.

Solche Extrembeispiele dienen weder dazu, irgendwelche Fantasien [„Betrug, Abzocke“] zu bedienen, noch um „akademische Diskussionen“ krampfhaft in Gang zu halten. Wer den anderen den „Raubkopiererspiegel“ vorhält, sollte die brancheneigenen Mißstände ertragen können und gegebenenfalls an der Verbesserung der Situation arbeiten.

Populärbeispielhafte Rechtfertigungsgründe
So dürfen Sie eine Latte vom Gartenzaun Ihres Nachbarn abbrechen, um sich damit gegen den Angriff eines fremden Hundes zu wehren.
Mal ehrlich. In der Praxis wird man es selbstverständlich dürfen, wobei man eher todgebissen sein dürfte, als das man es schafft vorher eine Latte aus einem Zaun zu brechen. Das Beispiel mit der Zaunlatte aus Nachbars Garten ist häufig schon behandelt wurden. Aber es ist so, - das er zwar das Recht hatte die Latte zu benutzen wen es um Leben und Tod geht, aber der Schaden der entstanden ist muss der Besitzer des Zaun nicht hinnehmen und hat das Recht auf Schadensersatz. Wer bezahlt? Das kann der Hundehalter sein wen dieser seine Aufsichtspflicht nicht nachgekommen ist oder sogar der "Lattenbrecher" wenn er überreagiert hat weil der Hund nur ein kleiner Hund war oder wenn der Lattenbrecher zuvor eigene Aktionen unternommen hätte, die in einer erkennbaren Aggressionshandlung des Hundes die Gefahr erst herauf beschworen hätte. Kausalität, Kausalität!

Praxisbeispiele:

Beispiel nach OLG München, Az. 14 U 1010/99 "Sorgfaltspflicht":
Ein Lattenbrecher läuft auf einem Gehweg. Im angrenzenden Grundstück bellt ein Hund aggressiv einen auf dem ebigen Gehweg laufenden anderen Hund an. Dieser Hund reagiert ebenso aggressiv. Der Lattenbrecher schreit: "Heh, Sie, Gehen sie mal weg da hier!" Der Hund auf dem Gehweg identifiziert das Schreien als Gefahr, reißt sich los und attackiert den Lattenbrecher. Dieser reißt eine Latte...
Mit(störer)haftung "Zaun" wegen schuldhaftem Handeln und iÜ auch kein Schmerzensgeld.

Beispiel nach OLG Koblenz, Az. 5 U 27/03 "Ausweichen":
Ein Lattenbrecher joggt auf einem Gehweg. Vor ihm taucht ein Hund mit/ohne Herrchen -egal- mit/ohne Leine -egal- auf. Der joggende Lattenbrecher reduziert nicht die Geschwindigkeit und weicht nicht aus. Der Hund erschrickt und geht auf den joggenden Lattenbrecher los. Dieser reißt eine Latte....
Mit(störer)haftung "Zaun" wegen unangemessener Reaktion auf ein immer unberechenbares Verhalten eines Hundes iÜ auch nur Teilschmerzensgeld.

Beispiel nach AG Frankfurt, Az. 32 C 2314/99-48 "Anlaßunabhängiger Lattenbruch":
Ein Lattenbrecher läuft auf einem Gehweg und sieht einen unangeleinten Hund. Der Hund macht zwar nichts, aber der Lattenbrecher fühlt sich bedroht. Er reißt eine Latte....
Keine Mit(störer)haftung "Zaun" für den Lattenbrecher. Der Hund hätte angeleint sein müssen. Schaden geht an den Hundehalter.

Die Frankfurter Richter schrieben sogar nach § 833 - "Haftung des Tierhalters"
"Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen." ???

Wie üblich in Deutschland, sehr einheitliche Rechtssprechung. Interessanter Weise, genau wie bei den Hundebeispielen/Lattenbrecher sind Aktionen von Rechteverletzungsverfolgern massiv uneinheitlich zu bewerten..
Der "Hashwertbeweis" [„Nach dem Akteninhalt bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächlichen Angaben der Antragstellerin unrichtig wären. Die Antragstellerin hat dargelegt, dass die von ihr zum Auffinden der Rechtsverletzungen eingesetzte Software zuverlässig arbeitet, die Parameter der aufzufindenden Dateien zutreffend ermittelt worden sind, die Software ordnungsgemäß in Betrieb gesetzt worden ist und zum Auffinden der im Tenor genannten IP-Adressen zu den dort bezeichneten Zeitpunkten geführt hat. Anlass, an dieser Darstellung zu zweifeln, besteht auch unter Berücksichtigung des sachkundigen Vortrags der Beschwerdeführerin nicht“. OLG Köln, sog. Kondolenzbeschluss an die Anwälte der Telekom AG] taugt vielleicht um eine offensichtliche Rechteverletzung näher definieren zu können. Die Haftungsfrage stellt sich jedoch nach ganz anderen Kriterien.

Der „Hashwertbeweis“ besagt, das der tatverdächtige Hund dieser und jener Rasse angehörte, welche identitätsrelevanten Merkmale er aufwies und er dokumentiert was der Hund im speziellen denn nun getan haben soll. Eine „eindeutig 100%-beweissichere“ Identifizierung“ scheitert zwar oft an kleinsten Dingen, ist aber wenigstens ausreichend um den ja dinglichen Schaden mit einer halbwegs vernünftigen Kausalität auszustatten. Zu mehr wird er nicht taugen, weder das eigentliche Verhalten des jeweiligen Tierhalters, noch das mögliche Fehlverhalten des Geschädigten und des Anspruchsberechtigten [Lattenzauninhaber] können mit ihm annähernd benannt werden. Es ist immer noch alles möglich.

Und für die Samplerdiskussion bedeutet dies: Zwar mag aus Sicht des jeweiligen „Lattenbrechers“ ein zwingender, subjektiver Rechtfertigungsgrund vorgelegen haben, das Eigentum anderer Leute zu schädigen. Es verbleibt jedoch allein ein subjektiver Rechtfertigungsgrund, der nicht in jeder Konstellation immer zu gelten hat.

Extrembeispiel – LG Heilbronn
Eine über 70-jährige Lattenbrecherin fühlte sich von den Hunden des Nachbargrundstücks bedroht. Sie mußte räumlich bedingt an den geifernden und Zähne fletschenden Hunden jeden Tag im Abstand von 1 Meter vorbei, jedoch mit starkem Lattenzaun dazwischen laufen. Um den Hunden dieses Verhalten „abzutrainieren“ brach sie eine Latte aus dem Gegnerzaun und stocherte jeden Tag den Hunden in die Mäuler. Eines Tages rutschte Frau Lattenbrecherin dabei ab. Ihre Hand geiert in die Fänge eines der Hunde und die Hand wurde abgerissen und verspeist.
Die Richter urteilten gerecht. Weder die Kosten der OP, Schmerzensgeld, noch sonstige Sanktionen wurden der Tierhalterin auferlegt.

Ich hoffe mal nicht das es rechteverfolgenden Lattenbrechern in p2p-Tauschbörsen auch so geht.